Software-Projekte im Griff - Teil II
Oft werden zu Beginn eines IT-Projektes große Mengen an Dokumenten mit schillernden Namen wie Pflichten-, Lastenheft, Fach- oder Feinkonzept produziert. Diese stellen dann die Grundlage für Angebote und die Durchführung des Projektes dar und werden oft nach Jahren noch Gegenstand einer gerichtlichen Interpretation, wenn sich die Vertragsparteien nicht über das Projektergebnis einigen können. Solche Projekte würde die Standish Group klar als "gescheitert" einstufen. Wie nun entsteht dieser Teufelkreis und wie kann er durchbrochen werden? Ein erster Fehler der oben genannten klassischen Projektdokumente ist, dass sie unter der sogenannte Analyseparalyse leiden. Das heißt: um eines dieser klassischen Dokumente in einer Weise zu erstellen, die gewährleistet, dass es während der Gesamtdauer eines Projektes unverändert Bestand hat, müssten die Parteien schier Übermenschliches leisten. Die Analyse der bestehenden und/oder geplanten Geschäftsprozesse müsste mit absoluter Sicherheit lückenlos sein, was sie in der Praxis nie ist. Die daraus erstellten Konzepte müssten in 100% der Fälle genau die geplanten Geschäftsprozesse abbilden, wozu die Systemarchitekten diese Geschäftsprozesse zu 100% verstehen und die Analysten die Konzepte der Systemarchitekten zu 100% kontrollieren können müssten. Nichts davon ist in der Praxis der Fall.

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| Abb. Baseline early freeze late |
Schließlich aber, selbst wenn Analyse und die Systemarchitektur 100% korrekt wäre, läge dem Projekt der größte Stolperstein noch im Wege. MSF nennt diese Stolperstein "Scope Slip". Dieser Begriff nimmt Bezug auf die Tatsache, dass sich während der Laufzeit eines Projektes der Fokus eines Projektes verändern kann. Die Zukunft ist unsicher - sonst wäre sie nicht die Zukunft. Selbst wenn der Kunde seinen Laden so "im Griff" hätte, dass nicht durch einen Wechsel im Management "die Wahrheiten von gestern plötzlich Lügen" sind. Auch ein solcher Kunde hätte wohl nicht alle von außen auf sein Unternehmen wirkenden Faktoren im Griff. Selbst wenn sich der Markt des Kunden während der Laufzeit des Projektes nicht ändert, so können und werden sich dennoch zum Beispiel gesetzliche Rahmenbedingungen ändern. Selbst wenn all das nicht eintritt und das Projekt zufällig erfolgreich ist, so ist eben dieser Erfolg, wie schon eingangs erwähnt, nicht planbar und nicht wiederholbar, sondern ein einmaliger Glücksfall. Was also tun? MSF empfiehlt sogenannte lebende Dokumente nach dem Grundsatz "baseline early - freeze late".
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